Chronisch-somatische Beeinträchtigung
Erfahrungsbericht einer Mitarbeiterin der Uni Köln
Ich arbeite an der Humanwissenschaftlichen Fakultät als wissenschaftliche Mitarbeiterin. Seit 15 Jahren habe ich MS (Multiple Sklerose). Man sieht es mir normalerweise nicht an, da die meisten Symptome unsichtbar sind. Typisch ist zum Beispiel Fatigue: Eine besonders imperative Form der Müdigkeit.
Schwierig wird es für mich, wenn viele Überstunden anfallen und ich nicht genug Ruhe bekommen kann. Was für mich konkret „zu viel“ ist, verändert sich ständig. Es fällt mir schwer, meine eigenen Grenzen zu akzeptieren, denn mein Beruf macht mir großen Spaß und erfordert oft genau das, was ich nicht gut kann: Engagement zeigen über die Arbeitszeit hinaus. Generell empfinde ich die impliziten Leistungsstandards im Wissenschaftsbetrieb als relativ gnadenlos; Selbstausbeutung gehört anscheinend dazu. Als chronisch erkrankte Person kann ich dabei nicht mitmachen.
Mir hilft es sehr, wenn Kolleg*innen und Vorgesetzte Verständnis zeigen, wenn ich dem von Wissenschaftler*innen erwarteten Arbeitsethos nicht immer genügen kann und möchte. Es hilft mir auch, wenn ich (in Maßen) Arbeitszeit und -ort flexibel gestalten kann.
Ich kann mittlerweile meine eigenen Ressourcen sehr zielgerichtet einsetzen. Außerdem bin ich relativ stur, wenn mir andere sagen, dass etwas in meiner Lage nicht sinnvoll erscheint. Oft klappt es trotzdem und ich bin dann stolz auf mich.
Ich habe durch die MS gelernt, mich zu fokussieren und mich nicht zu sehr in Nebenschauplätzen zu verausgaben, auch wenn sie verlockend erscheinen. Und ich möchte das mir entgegen gebrachte Verständnis gern an andere weitergeben: Ich weiß mittlerweile, dass jedem Menschen im Leben Dinge passieren können, die seine/ihre Möglichkeiten einschränken und dass es für diese Menschen trotzdem sehr wichtig sein kann, berufliche Wünsche zu verwirklichen.
Ich gehe mit mir und meinen Kräften vorsichtig um. Das heißt auch, dass ich im Vergleich zu anderen wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen in meiner Position weniger arbeite. Ich kann mir kaum vorstellen, auf Dauer in der Wissenschaft einen Platz zu finden, das werde ich nicht durchhalten. Bewusst entschieden habe ich mich für ein Medikament, das mir im Moment ein relativ sorgenfreies Leben ermöglicht, was die MS angeht. Ohne dieses wäre es mir wahrscheinlich nicht möglich zu promovieren. Dafür nehme ich das Risiko schwerwiegender Nebenwirkungen in Kauf.
Ich arbeite gern an der Universität zu Köln, weil ich den Beruf der Wissenschaftlerin supertoll finde. Ich kann dazu beitragen, dass wir mehr über die Welt erfahren, in der wir leben. Dies empfinde ich als äußerst sinnstiftend und befriedigend. Außerdem arbeite ich gern in unserem Arbeitsteam, weil mich die Leute hier so akzeptieren, wie ich bin (mit meiner MS, aber auch den anderen Stärken und Schwächen) und mir die Freiräume ermöglichen, die ich brauche.
In Zahlen...
Studierende, für die sich chronisch-somatische Erkrankungen am stärksten im Studium auswirken, stellen mit insgesamt 20% aller Studierenden mit Beeinträchtigung der in der best2-Umfrage in Deutschland befragten Studierenden (n = 20.897) einen hohen Anteil dar. Sie geben am häufigsten Magen-/Darmerkrankungen (36%), chronische Schmerzen (21%), Stoffwechselstörungen (13%) sowie Allergien (11%) an. Am stärksten wirken sich dabei chronische Schmerzen im Studienalltag aus.
Die Sonderauswertung der Universität zu Köln zur best2-Studie spricht von 16,4% der Befragten (n = 952 nur UzK) für die sich eine chronisch-somatische Erkrankung am stärksten auf das Studium auswirkt (NRW = 20,2% mit n=5.436).