Psychische Beeinträchtigung
Erfahrungsbericht eines ehem. Studenten der Uni Köln
Ich bin ein psychisch beeinträchtigter Studierender der Betriebswirtschaftslehre an der Universität zu Köln [Anm. der Redaktion: inzwischen ist der Student nicht mehr immatrikuliert] mit einer sogenannten schizophrenen Psychose. Das mag erstmal wüst klingen, doch es ist wie mit vielen anderen psychischen Krankheiten. Meine Beeinträchtigung liegt im Spannungsfeld zwischen gutem oder schlechtem Stress, Erholung, und Schlaf. Meine Beeinträchtigung erfordert eine kontinuierliche, ausgeglichene Belastung mit Pausen- und Reifezeiten über die ganze Studienzeit hinweg, um Belastungsschwankungen, z.B. bei Anlaufschwierigkeiten zu Beginn der Vorlesungsphase, während der Prüfungsvorbereitung oder bei Mehrbelastungen durch anstehende Prüfungen so gering wie möglich zu halten.
Nach außen hin fein wahrnehmbar ist, dass bei mir stressbedingte Fehlzeiten entstehen, die nicht etwa allein durch eine Erkältung bedingt sind, sondern durch die Lehrveranstaltungssituation, in der in hohem Tempo viel Wissen und Können vermittelt wird. Das führt bei einem Stressungleichgewicht bei mir zu einer krankheitsbedingten Fehlfunktion der selektiven Wahrnehmung und des Sprachverständnisses, die außer mir nur meine Behandler bemerken. Für Außenstehende sieht es so aus, als fehlt jemand in einem Kurs, doch in meiner Innenschau beginnt dann das Erleben von Unsinn im Lernzusammenhang, der entweder gestoppt werden muss durch eine intensive Erholungsphase, oder mit viel Aufwand, vom sinnvollen Lernen getrennt werden muss. Die Prüfungsvorbereitung muss ich unterbrechen und kann frühestens deutliche Zeit nach dem eigentlichen Prüfungstermin, wenn nicht erst im kommenden Semester, wieder damit anfangen.
Es entsteht eine Entgleisung aus dem regulären Stundenplan. Beziehungen zu Mitstudierenden werden dadurch erschwert, dass man sich nicht mehr in den gleichen Veranstaltungen trifft. Womöglich wäre ein alleiniges Selbststudium mit sporadischem Lehrveranstaltungsbesuch und dem Aufsuchen von Sprechstunden die beste Lösung für mich. Dies würde jedoch zu einer sozialen Isolation führen, die wiederum charakteristisch ist für meine Beeinträchtigung und somit doppelt risikobehaftet ist.
Meine Beziehungen zu Mitstudierenden sind betont unabhängig vom gemeinsamen Lehrveranstaltungsbesuch und müssen zwingend semesterübergreifenden Charakter haben. Die sonst üblichen, semesterweisen Gemeinsamkeiten zu Mitstudierenden sind also bei mir nicht vorhanden. Dozierende müssen erleben, dass der kontinuierliche Besuch ihrer Lehrveranstaltungen für mich nicht zielführend ist und ich daher höchstens sporadisch am Präsenzlehrbetrieb teilnehme und stattdessen die Sprechstunde für mein Selbststudium aufsuche.
Beeinträchtigungsbedingt fällt es mir oft schwer bei der Planung von zu absolvierenden Prüfungen, deren Menge pro Prüfungsturnus im Verhältnis zum aktuellen Stressgleichgewicht zu bestimmen und langfristig umzusetzen. Vor allem, wenn zum Semesterende keine Wiederholungsprüfungen angeboten werden oder Lehrinhalte dicht an dicht, wochenweise in einem Rhythmus nachprüfbar sind, aber der eigene Lernrhythmus nicht übergreifend zum Lehrveranstaltungszeitraum berücksichtigt wird.
Ich möchte am liebsten meine Beeinträchtigung ignorieren und arbeite deswegen auf Beeinträchtigungsfreiheit hin. Ein Lerntempo unterhalb des Üblichen ist jedoch für mein Krankheitsbild charakteristisch. Hierbei begleitet zu werden, oder auch während eines wie lange auch immer andauernden Lernstillstands, ist nicht selbstverständlich, für mich aber erforderlich.
Eine dauerhafte Medikation ist bei meiner Beeinträchtigung üblich, die Nebenwirkungen sind jedoch sehr lästig. Durch gezielte Therapie und eine gezielte Lebensstil-Steuerung ist es möglich, die Medikamente auf ein Minimum zu reduzieren, womöglich auch ganz ohne medikamentösen Schutz auszukommen. Solche Medikamentenreduktionen müssen jedoch schrittweise, sehr genau und gemeinsam mit meinen Behandlern beobachtet werden. Die Lebensstil-Steuerung umfasst das Rausgehen aus der Wohnung und die Aufrechterhaltung eines gesteigerten Wohlbefindens durch Therapie-, Sport-, Freizeit-, Lese-, Schreib-, Lern- und sonstige Aktivitäten. Aber auch frühzeitig wahrzunehmen und dagegen zu steuern, wenn sich was am eigenen Befinden kritisch oder katastrophenartig abzuzeichnen beginnt.
Meine Beeinträchtigung ist mir sehr peinlich, wie vielen anderen Beeinträchtigten auch, und ich genieße es, für voll genommen zu werden. Das ist nicht immer der Fall, vor allem, wenn das Stichwort der versteckten Beeinträchtigungsart gefallen ist. Es wirft Fragen bei denen auf, deren eigener Lebensweg unbeeinträchtigt scheint, während der von mir hier und da einen Knick und ewig scheinenden Stillstand aufweist. Mich bei einer solchen Nachfrage immer noch als vollwertigen Menschen wahrzunehmen, der jede Chance verdient, wieder gesund zu werden und die richtigen Lernbedingungen für sich zu definieren und zu finden, das ist für mich, was wahre Inklusion bedeutet. Schön wäre es, wenn Mitstudierende und Dozierende mit Verständnis, Zustimmung und Nachsicht auf meine Beeinträchtigung reagieren, wenn ich ihnen davon erzähle.
Durch meine Beeinträchtigung habe ich gelernt, wie wichtig es ist, dass neben dem Studium ein stabilisierendes Alltagsleben stattzufinden hat, das mich vor Rückfällen schützt. Ich weiß genau, dass die Einteilung von gutem und schlechtem Stress, Erholung und Schlaf wichtige Bezugsgrößen sind, auch für nicht von meiner Beschränkung betroffene Mitstudierende. Ich weiß auch, dass das Thema jeden Menschen angeht, denn üblicherweise passiert eine krankheitsbedingte Einschränkung, wie die meine, erst nach dem Studium und endet oftmals in einem Burnout. Ich hatte das Glück, dass mir dies bereits während der Schulzeit widerfahren ist, so kann ich mich nun in einer entwicklungsförderlichen Zeit, vor Berufsbeginn, auf die Einschränkung mit all ihren Ecken und Kanten einstellen.
Mein Studium wird sehr lange dauern, auch weil ich den Anspruch habe, ohne Nebenwirkungen zu leben und meine Medikamente so gering wie möglich zu dosieren oder ganz auf sie zu verzichten. An der Universität zu Köln studiere ich gerne, weil ich das Gefühl habe, angenommen zu werden, wie ich bin, denn jeder Jeck ist anders.
In Zahlen...
Die Gruppe der Studierenden mit psychischen Erkrankungen stellt den höchsten Anteil unter den Beeinträchtigungsformen, die sich studienrelevant bemerkbar machen, dar.
Psychische Erkrankungen wirken sich für 53% der Befragten der in der best2-Studie insgesamt in Deutschland befragten Studierenden (n = 20.897) am stärksten im Studium aus. Besonders häufige Formen sind Depressionen (80%), Angststörungen (39%) und Essstörungen (16%).
Die Sonderauswertung der Universität zu Köln zur best2-Studiespricht von 59,6% der Befragten (n = 952 nur UzK) für die sich eine psychische Erkrankung am stärksten auf das Studium auswirkt (NRW = 53,8% mit n=5.436).